Verteidigungsstrategie im Strafverfahren – wie wir arbeiten

Strafverteidiger in Wörrstadt und Heidelberg | Tim Wullbrandt

Strafverteidigung kann nach verschiedenen Mustern erfolgen – immer abhängig davon, welche Verteidigungsstrategie der Strafverteidiger wählt. Häufig ist es so, dass bestimmte Verteidiger sich einer einzigen Verteidigungsstrategie verschreiben und immer nach dieser verfahren. Oft suchen sich Mandanten ihren Verteidiger auch danach aus, welche Verteidigungsstrategie sich sich wünschen. Dabei übersehen sie jedoch, dass jeder Fall eine eigene Strategie erfordert und es nicht „die eine“ erfolgreiche Strategie gibt, sondern dass je nach Fall immer unterschiedliche Herangehensweisen zum jeweils besten Ergebnis führen. Ich möchte Ihnen daher hier einmal kurz die häufigsten Verteidigungsstrategien vorstellen, nach denen ich Strafverteidigungen aufbaue und Verfahren abwickele.

Welche Verteidigungsstrategien gibt es im Strafverfahren?

Um Ihnen zu verdeutlichen, weshalb es die richtige Wahl der Verteidigungsstrategie so enorm wichtig ist, möchte ich Ihnen kurz einen Fall aus meinem Kanzleialltag schildern:

Vor einiger Zeit wurde ich durch die Eltern eines gerade 18jährigen Mandanten beauftragt, den sich in Untersuchungshaft befindlichen Sohn zu verteidigen. Ihm wurden eine Vielzahl von Brandstiftungen im Innenstadtbereich vorgeworfen, alles eigentlich kleinere Taten – aber aufgrund der hohen Straferwartung und einiger weiterer Haftgründe war Untersuchungshaft angeordnet. Der Mandant war noch Schüler und befand sich in den Abiturvorbereitungen. Aufgrund der relativ deutlichen Aktenlage hatte ich mit dem Mandanten entschieden und abgesprochen, dass er bereits bei einer Haftprüfung ein Vollgeständnis ablegen sollte. Die Staatsanwaltschaft hatte bereits angedeutet, dass sie sich in diesem Fall mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine Bewährungsstrafe einlassen würde – der Mandant hätte also noch vor seinen Abiturprüfungen aus der Haft entlassen werden können. Unsere Strategie war somit klar – ich würde sie einmal mit „weich und entgegenkommend“ bezeichnen.

Den Eltern des Mandanten war diese Strategie zu weich – so dass sie einen anderen Verteidiger beauftragten. Dieser verfuhr plötzlich nach der Maxime „Schweigen bis zum Umfallen“ – also eine „harte“ Strategie. Der Mandant macht daraufhin keine Aussage im Rahmen der vor dem Landgericht stattfindenden Verhandlung – und wurde zu einer mehrjährigen Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt.

Nur ein „harter“ Strafverteidiger ist ein guter Strafverteidiger – oder?

Prozess || Tim Wullbrandt | Rechtsanwalt für StrafrechtHäufig herrscht die allgemeine Meinung vor, nur ein besonders „harter“ Strafverteidiger sei ein guter Strafverteidiger. Das dies falsch ist und unter Umständen sogar zum Unglück des Mandanten beitragen kann, zeigt mein oben beschriebener Fall. Denn gerade in Fällen, in denen die Beweislage erdrückend ist, schadet eine allzu „harte“ Verteidigung dem Mandanten regelmäßig (man darf hier nie ausser Acht lassen wie nachteilig es sich auswirkt, wenn man das Gericht gegen sich aufbringt!).

Wirklich gut ist also nur der Verteidiger, der bereits aufgrund der Einsicht in die Ermittlungsakten die Beweislage und die sich daraus für den Mandanten ergebenden Chancen korrekt und zutreffend einschätzt und daraus eine für den Fall und die Person des Mandanten „passende“ Verteidigungsstrategie entwickelt.

4 Arten von Verteidigung

Im großen und ganzen lassen sich wohl 4 grobe Verteidigungslinien oder -strategien bestimmen, an denen man sich als Anwalt im Strafrecht orientieren kann. Das sind:

defensiv-kooperativ

defensiv-zurückhaltend

offensiv-zurückhaltend

offensiv-aggresiv

 

Wie unterscheiden sich diese Strategien nun voneinander?

Defensiv – kooperative Verteidigungsstrategie

In gewissen Verfahrenslagen ist es angebracht, einen Mandanten defensiv – kooperativ zu verteidigen. Das bedeutet, nicht auf Konflikt mit Gericht und Staatsanwaltschaft zu gehen und nach sich Möglichkeit an der Aufklärung der Tat mit zu beteiligen. Zugegebener Maßen könnte man diese Taktik auch als „klein beigeben“ bezeichnen.

Bei dieser Verteidigungsstrategie legt der Mandant ein Vollgeständnis ab und gibt umfangreiches Täterwissen preis – einschließlich Angaben zu möglichen Mittätern. Diese Vorgehensweise wird vor allem dann von Staatsanwaltschaft und Gericht honoriert, wenn es bislang noch unentdeckte oder unermittelte Tatkomplexe gibt, deren Aufklärung durch die Angaben des Mandanten ermöglicht wird.

Oftmals kommen Beschuldigte auf die Idee, sie könnten sich bereits bei der ersten polizeilichen Vernehmung aus der Misere retten, indem sie bereits dort umfangreiche Angaben zu den Tatvorwürfen machen. Hiervon kann ich jedoch nur abraten, denn auch bei einer defensiv-kooperativen Verteidigung mit Vollgeständnis wägt ein guter Strafverteidiger zunächst mit dem Mandanten ab, welche Angaben und Informationen preisgegeben werden können und sollen, damit sich der Mandant nicht über Gebühr selbst belastet und unter Umständen nur durch seine eigene Einlassung ein höherer Strafrahmen aufgrund einer verwirklichten Qualifikation (bsp. schwerer Diebstahl statt Diebstahl, Raub statt räuberische Erpressung) in Betracht kommt.

Bei dieser Verteidigungsstrategie winken für den Mandanten eine ganze Reihe von Milderungsgründen, die sogar gesetzlich verankert sind (man denke hier nur an den fast schon berühmt-berüchtigten § 31 BtMG, wonach der Täter Straffreiheit oder zumindest erhebliche Milderung erwarten kann, wenn er der Polizei sein Wissen über Zulieferer von Drogen preis gibt). Im Gegenzug jedoch müssen die teils gravierenden zu erwartenden sozialen Folgen für den Mandanten bei der Preisgabe solchen Wissens, insbesondere im Hinblick auf Mittäter bedacht werden. Es muss daher mit dem Mandanten genau besprochen werden, ob es sich für den Mandanten lohnt, als „Verräter“ aufzutreten.

Insbesondere in Jugendstrafverfahren mit jugendlichen Mandanten kann eine solche Verteidigungsstrategie sinnvoll sein.

Defensiv – zurückhaltende Verteidigungsstrategie

Auch eine defensiv-zurückhaltende Verteidigung ist nicht auf Konflikt mit dem Gericht oder der Staatsanwaltschaft ausgelegt. Der Tenor gegenüber dem Gericht ist meist der:

Wir wollen dem Verfahren keine Steine in den Weg legen.

Im Gegensatz zur kooperativen Verteidigung macht der Mandant hier keine oder nur absolut nötige Angaben zur Sache. Gerade bei Verfahren wegen Drogenhandel sieht das meistens so aus, dass man per Erklärung des Verteidigers mitteilt, dass die Anklage stimmt, der Mandant dies zugibt – sonst aber keine weiteren Fragen zur Sache mehr beantwortet werden. Sofern Zeugen vernommen werden prüft man deren Aussagen auf Glaubhaftigkeit – verzichtet aber nach Möglichkeit auf Kreuzverhöre oder ähnliches.

Hier kommt dem Mandanten noch immer die mildernde Wirkung eines Geständnisses zu Gute. Allerdings kommt der Mandant nicht in die Situation, dass er sich durch weitere Angaben unglaubwürdig macht, dritte Personen über Gebühr belastet oder – noch viel schlimmer – sich selbst über die Anklage hinaus belastet. Bei BtM-Verfahren ist dieses Vorgehen häufig sinnvoll, denn – seien wir ehrlich – oft hat der angeklagte Mandant einen erheblich schwunghafteren Handel betrieben, als ihm mit der Anklage vorgeworfen wird. In diesen Fällen kann es sehr sinnvoll sein, die moderate Anklage „abzunicken“ und damit der Gefahr zu entgehen, dass bei weiteren Angaben noch weitere Taten und ein größerer Tatumfang aufgedeckt werden.

Offensiv – zurückhaltende Strategie

Eine Stufe „härter“ ist dann bereits eine offensiv-zurückhaltende Strategie. Diese ist meist davon geprägt, dass der Mandant Angaben zur Sache macht (unter Umständen ein ausführliches Geständnis) und seine ausführlichen Angaben auch gegen anderslautende Zeugenaussagen verteidigt. Hier geht es also nicht mehr nur darum, einen Tatvorwurf „abzunicken“ und die Stimmung auf einem hohen Niveau zu halten, sondern durchaus auch Zeugen „in die Mangel“ zu nehmen und aktiv gegen Tatvorwürfe, die von der Aussage des Mandanten abweichen, zu verteidigen.

Eine andere Alternative der offensiv – zurückhaltenden Strategie ist die Verteidigung mit dem schweigenden Mandanten. Der Mandant macht hier keine Angaben zum Tatvorwurf und das Gericht ist gezwungen, den Anklagevorwurf vollumfänglich unter Beweis zu stellen. Da eine Verurteilung nur dann erfolgen kann, wenn die Tatvorwürfe unter Beweis gestellt wurden, sind hier die Chancen auf einen fehlenden Tatnachweis erheblich höher als bei den beiden zuvor genannten Verteidigungsstrategien.

Die offensiv-zurückhaltende Verteidigungsstrategie ist damit häufig die richtige Strategie bei Körperverletzungsdelikten wie Schlägereien oder ähnlichem. Nur sie bietet die Chance darauf, dass ein Tatnachweis nicht geführt werden kann, beispielsweise, weil sich Zeugen widersprechen oder sich nicht mehr an Tatvorgänge erinnern. Damit bietet die offensiv-zurückhaltende Strategie die Chance auf Freispruch, was bei den beiden defensiven Strategien nicht möglich ist (dort wird ja ein Geständnis abgelegt), sie trägt jedoch auch das Risiko einer streitigen Verurteilung ohne die mildernde Wirkung des Geständnisses in sich.

Offensiv – aggressive Strategie

Die „härteste“ Verteidigungsstrategie ist sicherlich die offensiv-aggressive Strategie. Hier wird der Tatvorwurf entweder bestritten oder es wird zum Tatvorwurf geschwiegen, es werden eigene Angaben zu Tatabläufen gemacht, Beweise werden angegriffen, eigene Beweismittel und Beweisanträge eingebracht und die Verteidigung versucht, das Verfahren an formellen Fehlern scheitern zu lassen.

Diese Art der Verteidigung eignet sich insbesondere bei erheblichen Tatvorwürfen, die mit sehr langen Freiheitsstrafen einhergehen und in Fällen, in denen sich aus dem Sachverhalt ergibt, dass ein entsprechendes Vorgehen tatsächlich Aussicht auf Erfolg bieten kann. Die offensiv-aggressive Verteidigung hat auch immer bereits das anschließende Rechtsmittelverfahren im Blick, versucht also, das entscheidende Gericht zu Fehlern zu verleiten, die mit einer späteren Revision angreifbar sind.

Die Verteidigung mit offensiv-aggressiver Strategie kann dazu führen, dass in komplexen Verfahren ein Schuldspruch unterbleibt, da hinreichend Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten aufgeworfen wurden – sie birgt jedoch auch das Risiko, dass sich sich damit sämtlicher Milderungsgründe für den Fall einer Verurteilung begibt. Das Risiko ist also am höchsten.

Welche Strategie ist die richtige?

Die vier genannten Strategien sind alle richtig – aber eben sicher nicht in jedem Verfahren. Ein guter Strafverteidiger wird bei der Vorbereitung eines Verfahrens abwägen, welche Strategie für den jeweiligen Fall die richtige ist und somit zum bestmöglichen Erfolg führt. So wäre es ebenso fatal, in einer Jugendstrafsache, welche trotz erheblichem Tatvorwurf auf eine Bewährungsstrafe hinausläuft (was erkennbar ist), auf Biegen und Brechen mit einer offensiv-aggressiven Strategie zu verteidigen. Was dabei herauskommt habe ich in meinem Beispiel am Anfang des Artikels beschrieben. Ebenso falsch wäre es jedoch, sich in einem Mordverfahren defensiv-kooperativ zu verhalten – hier wäre dem Mandanten dann jede Chance auf eine andere Verurteilung als zur lebenslangen Haftstrafe genommen.

Mein persönliches Ziel ist es in jedem Verfahren, genau die passende Strategie zu ermitteln und den Mandanten entsprechend zu verteidigen. Welche das ist, lässt sich jedoch erst nach ausführlicher Einsicht in die Verfahrensakten und nach intensiver Besprechung mit dem Mandanten erarbeiten.