Ratgeber
Pflichtverteidiger und Pflichtverteidigung – was ist das?
„Ich brauche einen Pflichtverteidiger!“, „Machen Sie auch Pflichtverteidigungen?“, „Kann man da auch Pflichtverteidigung machen?“ oder gar „Ich will keinen Pflichtverteidiger!“ – Wenigstens einen dieser Sätze höre ich in einer Vielzahl meiner Beratungsgespräche. Für mich ein Anlass, um hier einmal etwas Licht ins Dunkel zu bringen.
Zu diesem Zweck beantworten wir in diesem Artikel die wichtigsten Fragen
- Was ist überhaupt ein Pflichtverteidiger?
- Wie bekomme ich einen Pflichtverteidiger?
- Kann ich mir einen Pflichtverteidiger aussuchen?
- Was kostet ein Pflichtverteidiger? Ist ein Pflichtverteidiger kostenlos?
- Kann ich meinen Pflichtverteidiger wechseln?
Was ist ein Pflichtverteidiger?
Was ist überhaupt ein Pflichtverteidiger? Oft habe ich den Eindruck, der Laie versteht unter einem „Pflichtverteidiger“ einen Anwalt, den er vom Gericht in einem Strafverfahren gestellt bekommt, damit er – sozusagen pro forma – verteidigt wird. Tatsächlich aber wird dieser Anwalt dann schlecht vom Gericht bezahlt, hat keine Lust auf den Mandanten, leistet nichts und kümmert sich nicht um den Mandanten. Stimmt das?
Nun, offen gesagt gibt es solche Fälle leider tatsächlich (je nach Gerichtsbezirk mehr oder weniger…). Ich möchte hier aber nicht nur erklären, was ein Pflichtverteidiger tatsächlich ist, sondern auch, wie man als Mandant für eine gute Pflichtverteidigung sorgen kann.
Ein Pflichtverteidiger ist ein notwendiger Verteidiger
Überraschung: Den Begriff des „Pflichtverteidigers“ gibt es im Gesetz überhaupt nicht. Es gibt statt dessen den § 140 StPO. In diesem sind alle Fälle geregelt, in denen eine Verteidigung notwendig ist. Die Strafprozessordnung sieht also eine Reihe von Fällen vor, in denen der Beschuldigte oder später Angeklagte nicht ohne Hilfe eines Verteidigers bleiben darf. Er muss also verteidigt werden.
Wann ist Verteidigung notwendig?
In welchen Fällen ist jetzt also eine Verteidigung notwendig?
Ein Verteidiger ist jedenfalls dann notwendig, wenn
- die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht oder dem Landgericht stattfindet;
- dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last gelegt wird;
- das Verfahren zu einem Berufsverbot führen kann;
- gegen einen Beschuldigten Untersuchungshaft nach den §§ 112, 112a oder einstweilige Unterbringung nach § 126a oder § 275a Absatz 6 vollstreckt wird;
- der Beschuldigte sich mindestens drei Monate auf Grund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befunden hat und nicht mindestens zwei Wochen vor Beginn der Hauptverhandlung entlassen wird;
- zur Vorbereitung eines Gutachtens über den psychischen Zustand des Beschuldigten seine Unterbringung nach § 81 in Frage kommt;
- ein Sicherungsverfahren durchgeführt wird;
- der bisherige Verteidiger durch eine Entscheidung von der Mitwirkung in dem Verfahren ausgeschlossen ist;
- dem Verletzten nach den §§ 397a und 406h Absatz 3 und 4 ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist.
(das ist die Aufzählung aus § 140 Absatz 1 StPO)
Ein Verteidiger ist auch notwendig, wenn keiner der links aufgezählten Gründe vorliegt, aber
wenn wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, daß sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann.
Das ist die Regelung aus § 140 Absatz 2 StPO. Wann ein solcher Fall vorliegt muss von Fall zu Fall und von Mandant zu Mandant entschieden werden.
Ich kann mir keinen Anwalt leisten – ist das auch ein Grund?
Häufig fragen mich neue Mandanten direkt „Können wir einen Antrag auf Pflichtverteidigung stellen, ich verdiene so wenig?„. Diese Frage muss leider immer mit „nein“ beantwortet werden. Denn wenn man sich die Aufzählung oben ansieht erkennt man: Geringes Einkommen ist kein Grund für eine notwendige Verteidigung. Viele Mandanten kennen aus dem Zivilrecht das Prinzip der Prozesskostenhilfe, bei welcher abhängig vom Einkommen auf einen Antrag hin die Anwaltskosten von der Justizkasse getragen werden. Das gibt es im Strafrecht nicht.
Fazit: Pflichtverteidiger ja oder nein hängt nur vom Tatvorwurf und der zu erwartenden Strafe ab
Kurz gefasst ist es also so, dass
ein Pflichtverteidiger als notwendiger Verteidiger dann bestellt wird, wenn die vorgeworfene Tat und die zu erwartende Strafe so gewichtig sind, dass die Verteidigung schon per Gesetz notwendig erscheint, damit der Beschuldigte ohne Anwalt nicht chancenlos wäre.
Das Gericht bestellt also einen Pflichtverteidiger, wenn der Angeklagte aus Sicht des Gesetzes verteidigt sein muss. Diese Entscheidung trifft das Gericht unabhängig vom Einkommen und Vermögen des Angeklagten.
Was ist jetzt also ein Pflichtverteidiger?
Ein Pflichtverteidiger ist also nichts anderes als ein Rechtsanwalt, der sich in einem der Fälle, in denen die oben genannten Voraussetzungen vorliegen, für seinen Mandanten durch das Gericht per Beschluss als notwendiger Verteidiger beiordnen lässt.
Wie bekomme ich einen Pflichtverteidiger?
Kann ich mir einen Pflichtverteidiger aussuchen?
Im „Normalfall“ bekommt man einen Pflichtverteidiger spätestens dann, wenn man wegen einer erheblichen Tat (siehe oben) angeklagt wird und die Anklage von Gericht erhält. In dem Schreiben, mit welchem das Gericht die Anklage übersendet, findet sich dann meist ein Satz wie
Das Gericht beabsichtigt, Ihnen einen Verteidiger beizuordnen…
Reagiert man hierauf nicht, dann ordnet das Gericht einen (fast) beliebigen Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger per Beschluss bei.
Wird Untersuchungshaft angeordnet, dann ordnet der Haftrichter, welcher den Haftbefehl eröffnet, die Beiordnung eines Verteidigers als Pflichtverteidiger an. Spätestens eine Woche nach Anordnung der Untersuchungshaft wird dann ein beliebiger Pflichtverteidiger beigeordnet.
Was für einen Anwalt ordnet mir das Gericht bei?
Welchen Anwalt oder eher gesagt, was für einen Anwalt das Gericht dann beiordnet, das unterscheidet sich von Gerichtsbezirk zu Gerichtsbezirk erheblich. Die meisten Haft- und Strafrichter führen Listen mit Anwälten, die sich selbst bei dem jeweiligen Gericht für Pflichtverteidigungen zur Verfügung gestellt haben. Ob man nun also einen „guten“ oder einen schlechteren Verteidiger zugeteilt bekommt, das ist eine Mischung aus Glücksache und Ermessen des Richters, der die Beiordnung vornimmt.
Es gibt hier sowohl Gerichte, die gute versierte Verteidiger beiordnen – auch wenn diese ihre Aufgabe als Verteidiger ernst nehmen und dem Gericht damit die Arbeit ab und an etwas schwerer machen. Genauso gibt es jedoch Gerichtsbezirke, die nur solche „Verteidiger“ beiordnen, von denen aus Sicht der Strafverfolgungsbehörden keine Probleme zu erwarten sind (manchmal spricht man hier hinter vorgehaltener Hand auch von „Verurteilungsbegleitern“…). Das Problem ist, dass der Angeklagte dies oft selbst in keiner Weise einschätzen kann und somit ein erhebliches Risiko trägt.
Kann ich mir einen Pflichtverteidiger aussuchen?
Ja.
Diese Information ist so wichtig, dass ich sie herausstellen muss. Man kann sich seinen Pflichtverteidiger aussuchen.
Wer eine Anklage erhält und sich nicht bereits vorher, im Ermittlungsverfahren, an einen Verteidiger seiner Wahl gewendet hat, der wird spätestens mit dem Brief, mit welchem die Anklage kommt, darauf hingewiesen, dass das Gericht einen Pflichtverteidiger bestellen möchte. Nun hat man mindestens eine Woche Zeit, um dem Gericht mitzuteilen, wen das Gericht beiordnen soll. In dieser Zeit kann man sich entweder mit einem Anwalt seiner Wahl zusammensetzen und alles weitere besprechen (in der Regel wird dieser Anwalt Ihnen dann mitteilen, ob und unter welchen Umständen er zur Übernahme Ihrer Pflichtverteidigung bereit ist. Wenn das der Fall ist, dann wird er dem Gericht mitteilen, dass er Ihre Verteidigung übernimmt).
Es ist auch möglich, dem Gericht als Angeklagter direkt mitzuteilen, welcher Anwalt beigeordnet werden soll. Hierzu müssen Sie dem Gericht nur schreiben (in diesem Fall könnte es jedoch passieren, dass der – ohne sein Wissen – gewählte Anwalt sich gegen die Beiordnung wendet. Achtung: Ein Verteidiger ist nicht zur Ihrer Verteidigung verpflichtet!).
Wird Untersuchungshaft vollstreckt, dann wird der Beschuldigte bereits bei der Vorführung vor den Haftrichter gefragt, ob er einen bestimmten Anwalt als Pflichtverteidiger haben möchte. Kennt er keinen speziellen Anwalt, dann kann er sich eine Woche Frist zur Benennung erbitten. Diese Frist kann dann er oder seine Verwandten nutzen, um einen Verteidiger auszuwählen und zu benennen.
Was kostet ein Pflichtverteidiger?
Ist Pflichtverteidigung kostenlos?
Wer nach den Kosten für einen Pflichtverteidiger googelt, der liest in den allermeisten Artikeln zum Thema diese Information:
Ein Pflichtverteidiger ist kostenlos.
Das ist falsch. Ein Pflichtverteidiger ist nicht kostenlos.
Ist ein Pflichtverteidiger kostenlos?
Wie läuft das aber nun mit den Kosten des Pflichtverteidigers? Es ist folgendermaßen:
Es gibt in Deutschland ein Gesetz über Anwaltsgebühren (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz). Vereinbaren Mandant und Anwalt nichts abweichendes, dann erhält der Anwalt die gesetzlich vorgeschriebenen Gebühren. In dem Gesetz finden sich auch Gebühren für Pflichtverteidiger – Diese sind weit geringer als die „normalen“ Gebühren. Diese Gebühren kann der Pflichtverteidiger direkt bei der Justizkasse abrechnen – er erhält diese Honorare dann auch direkt von der Justizkasse ausbezahlt.
Also bekommt der Pflichtverteidiger sein Geld ja vom Staat und der Mandant muss nichts zahlen? Das stimmt nur im ersten Schritt. Denn: Wird der Mandant verurteilt, dann muss er in den meisten Fällen (nicht bei Jugendstrafsachen) auch die Kosten des Verfahrens tragen – und hierzu zählen die Kosten der Pflichtverteidigung. Die Staatskasse wird also nach Abschluss des Verfahrens alle Kosten, welche die Staatskasse dem Pflichtverteidiger bezahlt hat, vom Mandanten zurückfordern.
Dieses Vorgehen sorgt also nicht dafür, dass die Verteidigung für den Mandanten kostenlos ist. Sie sorgt aber dafür, dass der Pflichtverteidiger jedenfalls eine Vergütung erhält, auch wenn der Mandant sich das vorab nicht leisten kann.
Kann man den Pflichtverteidiger wechseln / tauschen?
Recht häufig kommt es vor, dass Mandanten während eines laufenden Ermittlungsverfahrens (vor allem bei Fällen mit Untersuchungshaft) das Gefühl haben, von ihrem Pflichtverteidiger schlecht verteidigt zu sein und diesen wechseln möchten. Es stellt sich also die Frage, ob der Wechsel des Pflichtverteidigers überhaupt möglich ist.
Die Antwort lautet (leider): Der Wechsel des Pflichtverteidigers ist nur sehr eingeschränkt möglich.
Die Strafprozessordnung sieht keinen Wechsel des Pflichtverteidigers vor. Einen Anspruch auf Verteidigerwechsel hat der Mandant daher nur wenn er darlegen kann, dass das Vertrauensverhältnis zum Verteidiger absolut zerrüttet ist. Das ist allerdings nicht schon dann der Fall, wenn der Mandant sich nur „schlecht“ verteidigt fühlt – er muss konkret darlegen, weshalb es zum Vertrauensbruch kommt. Beklagt der in Untersuchungshaft sitzende Mandant also, dass der Verteidiger ihn nur alle 4 bis acht Wochen besuchen kommt, dann muss das noch lange keinen Vertrauensbruch darstellen, so lange der Verteidiger ihn überhaupt besucht und sich im Verfahren nichts neues ergeben hat. Etwas anderes ist es aber, wenn der Mandant bereits seit zwei Monaten in der Untersuchungshaft sitzt und der Verteidiger ihn bis dahin noch gar nicht besucht hat. Ob also die Voraussetzungen vorliegen muss im Einzelfall geprüft werden.
Der reine Wunsch nach einem anderen Verteidiger reicht jedoch nicht aus.
Lediglich dann, wenn beispielsweise das Gericht Montags einen beliebigen Verteidiger bestellt hat und sich ein / zwei Tage später ein vom Mandanten ausgewählter Verteidiger meldet, kann häufig ein Wechsel des Pflichtverteidigers noch erreicht werden.
Wechsel zum Wahlverteidiger möglich
Den Pflichtverteidiger „los“ wird man nur dann, wenn sich ein anderer vom Mandanten gewählter Verteidiger bei Gericht für den Mandanten bestellt und dem Gericht zusagt, die Verhandlungstermine wahrzunehmen. Das dürfte aber in den allermeisten Fällen voraussetzen, dass der Mandant den Verteidiger bereits vollständig vorab bezahlt hat.
Fragen / Kontakt
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